Aus der Einleitung: Für Entscheidungswissenschaftler sind Wahlen — ungeachtet aller Warnungen — ein großartiges und größenwahnsinniges Experiment. Während wir sonst das Entscheidungsverhalten von Individuen und Gruppen in kontrollierten Laborsituationen erforschen, werden bei Wahlen die Meinungen von Millionen Menschen über mehrere Monate systematisch manipuliert und dann ein bundesweites Aggregat ihrer Mehrfachauswahlentscheidungen gebildet, das die Zusammensetzung von Parlament und Regierung und damit die Politik der nächsten Jahre determiniert. Auch wenn das Experiment ethisch nicht unbedenklich und seine Aussagekraft in Ermangelung einer Kontrollgruppe erheblich eingeschränkt ist, finden sich auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene viele Elemente wieder, deren Mechanismen wir im mikroskopischen Maßstab aus unseren Studien kennen.
Aus dem Fazit: Unser Plädoyer für die Intelligenz einfacher Entscheidungsregeln und die Rehabilitation und Weiterentwicklung einfacher Modelle ist nicht idealistisch oder naiv, sondern wurzelt in Respekt vor unvermeidlicher Unsicherheit und allgegenwärtiger Ungewissheit. Während wir unter Risiko gern alle Konsequenzen von Entscheidungen nach allen Regeln der statistischen Kunst bis ins letzte Detail berechnen, sind komplexe Modelle unter Ungewissheit weder angemessen noch sinnvoll. Anstatt nach fehlerhaften Vorhersagen ein Wettrüsten immer komplizierterer Verfahren zu starten, sollten wir privat und professionell den Umgang mit Unsicherheit als Auftrag, Herausforderung und Tugend üben.
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